Man
gab sich in Jena betont vorsichtig, "Gegen den FCK haben wir uns
immer schwer getan," erinnerte sich Stadionsprecher Rolf
Weidner, und nirgendwo wollte man vorher etwas von einer
Meisterehrung wissen. "Wenn eintreten sollte, was wir alle
hoffen, worum wir aber noch bangen...Nein, ich will nichts
bereden," hielt sich der fußballverständige Oberkellner des
"Schwarzen Bären" zurück, verwies auf den Spruch von der
Apotheke und den Pferden, um flüsternd hinzuzusetzen: "Für alle
Fälle hat der FC Carl Zeiss heute Abend Plätze bei uns bestellt.
Der kluge Mann baut vor, wissen Sie."
Nun, die Feier fand statt. Und doch hatte es lange Zeit den
Anschein, als müsse man sie vertagen. So klar auch das 2 : 0
schien, so sehr auch das Eckenverhältnis von 11 : 0 (!) für den
Gastgeber sprach - der FCK hielt lange Zeit mit, dank der guten
Verfassung Vogels Hambecks (aber die Tore!), Neuberts
(erstaunlich selbstbewußt), Kreuls und A. Müllers. "Ein
Pünktchen würden wir schon gern mitnehmen aus Jena," meinte
FCK-Trainer Horst Scherbaum, sozusagen als Reverenz des alten
vor dem neuen Meister. "Aber Jena ist unerhört heimstark. Die
makellose Bilanz auf diesem gepflegten Rasen sagt alles."
Immerhin, es war erstaunlich wie die Karl-Marx-Städter die Worte
ihres noch immer verletzten Kapitäns Dieter Erler umsetzten und
ihre "Haut so teuer wie möglich" verkaufte. Sie erzwangen
zunächst eine leichte Überlegenheit. Vogel, eine ausgezeichnete
Leistung bietend, traf zwei mal die Latte (12., 37.), Blochwitz
mußte sein ganzes Können gegen Schüsse von Steinmann (17.) und
Schuster (27.) zeigen. Freilich, auch die Jenaer hatten zwei
Lattenschüsse aufzuweisen, von Krauß (23.) und Schlutter (26.)
abgegeben. Und doch, ihr Spiel war nicht so zwingend, wirkte,
verständlicherweise, lange Zeit nervös; das Uhrwerk der
Kombination lief nicht mit Zeiss'scher Präzision.
Die Schlußminute der ersten Halbzeit war angebrochen. Eine
Flanke flog in den FCK-Strafraum. Linienrichter Prokop hob die
Fahne. Abseits. Wurde das von Schiedsrichter Glöckner übersehen?
Der Pfiff blieb aus. Als jedoch, noch während der gleichen
Aktion, aber Sekundenbruchteile später, Scheitler von Kreul
gefoult wurde, ertönte der Pfiff. Die Geste Glöckners war
unmißverständlich. Strafstoß. Brunner lief an, platzierte
schlecht. Hambeck schien parieren zu können. (Brunner: "Mir
verschlug es den Atem!") Doch unter seinem Körper rutschte der
Ball ins Netz. Glöckner kommentierte die Szene so: "Ich sah
Kreuls Foul und Prokops Fahne gleichzeitig. Deshalb entschied
ich auf Strafstoß." Eine Auffassung, der man entschieden
wiedersprechen muß, da ja die Abseitsstellung vorher, im Moment
der Ballabgabe nämlich, zu bestrafen war.
So kam diese Führung ohne Zweifel glücklich zustande, zudem fiel
sie in einem für die eigenen Absichten psychologisch günstigen
Augenblick. Das Bemühen, sich das Glück nachträglich zu
verdienen, wurde mit dem Wiederanpfiff deutlich. Nachdem
Blochwitz in großem Stil einen Schuß Hüttner parierte (59.),
steigerte sich der FC Carl Zeiss zusehends. P. Müller rettete
gegen Scheitlers Kopfball auf der Linie, Hambeck meisterte
anschließend P. Duckes Schuß (67.). Schließlich eilte Strempel,
an diesem Tag ungemein stark, einmal mehr mit nach vorn. Hambeck
verpasste seine Flanke, und W. Krauß hatte keine Mühe, den Sieg
sicherzustellen.
Obwohl die Männer um Roland Ducke nicht ihren allerbesten Tag
hatten (Georg Buschner: "Wir waren diesmal um 50 Prozent
schwächer als am Mittwoch gegen den 1. FC Lok!"), sorgten sie
dann, von den Gesängen ihrer Anhänger begleitet, für sehenswerte
Aktionen, so daß Gelegenheit gegeben war, bei allen
Einschränkungen auch, zu einem echten Vergleich zwischen altem
und neuen Meister zu kommen, zu einer Wertung des Titelträgers
1967/68.
Das vor allem macht die Stärke des von Georg Buschner zum
Erfolg geführten FC Carl Zeiss aus:
1. Die unerhörte, von keiner anderen Mannschaft
erreichten Fitness aller Spieler. Wie sich Preuße, Werner,
Brunner, Strempel u. a. vor allem körperlich, dadurch dann
teilweise auch spielerisch, steigerten, ist enorm.
2. Die absolute Zuverlässigkeit und Stabilität der Elf,
die es verstand, auch schwächere Vorstellungen zu überspielen
und die zu Hause (ein neuer Rekord!) keinen Punkt abgab. Dadurch
wird bei weitem aufgewogen, dass der FC Carl Zeiss vielleicht
nicht so brillant zu spielen versteht, vielmehr alles dem Zweck
unterordnet. Dieses Hinwenden zum Zweckbetonten ist eine
internationale Tendenz, der man in Jena Rechnung trug.
3. Die Flexibilität der Spielweise. Über die Positionen
der Spieler geben nicht die Rückennummern Auskunft; wer welche
Aufgaben erfüllt, wird diktiert von den Erfordernissen der
Situation. Wie oft war R. Ducke gegen den FCK in der Deckung zu
finden! Doch nicht minder oft prellte z.B. Preuße, Marx,
Strempel und Werner mit nach vorn.
Das und noch mehr macht die Qualität des neuen Deutschen
Meisters der DDR aus, dem die Spieler des FCK als erste ihre
Gratulation übermittelten.
Zum Schiedsrichterkollektiv: Jene oben geschilderte, die
das Geschehen freilich in hohem Maße beeinflussende Fehlleistung
Glöckners, war der einzige Makel.
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