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Grapenthin - Lange gewartet, dann Klasse
Man mußte
sich in Jena - und nicht nur da - erst daran gewöhnen, daß der
"Lange" nicht mehr im Zeisstor steht. Kein Wunder, wo er doch
seit dem 4.März 1978, ohne auch nur eine Spielminute
auszusetzen, ununterbrochen das Oberligator der Thüringer
gehütet und dabei eine imponierende Serie von 186 Punktspielen
aufgestellt hatte. Doch nach dem 0:0 gegen Aue am 30.März dieses
Jahres war Schluß für den Oldtimer unserer höchsten Spielklasse.
"Das es meine letzte Saison sein würde, stand für mich schon vor
dem Anpfiff zum Spieljahr 1984/85 fest. Der Zeitpunkt, wann ich
einem meiner Nachfolger Platz machen würde, ergab sich dadurch,
daß nach dem torlosen Remis gegen die Erzgebirgler feststand,
daß wir Jenaer das Schlußdrittel der Saison ohne Abstiegssorgen
absolvieren konnten, uns ja sogar für den IFC-Wettbewerb
qualifiziert hatten." Platz machen, das bedeutete, daß ab
13.April, dem Spiel in Riesa, einer seiner beiden
"Hintermänner", Perry Bräutigam, fortan das Zeiss-Tor hütete.
Hans-Ulrich Grapenthin aber vollzog seinen Abschied vom großen
Fußball noch mit einem persönlichen Saisonrekord: In 19 Spielen
hatte er nur 17 Gegentreffer, damit die wenigsten von allen
Keepern, zugelassen.
Erste Schritte in Wolgast
Mit
Grapenthin nahm nach Harald Fritsche und Wolfgang Blochwitz der
dritte Jenaer Ex-Nationaltorwart Abschied von der sportlichen
Bühne. Leicht viel "Sprotte" - diesen Spitznamen verpaßte ihm
kein geringerer als Roland Ducke, als Grapenthin vor knapp zwei
Jahrzehnten den Wechsel von den Gestaden der Ostsee ins
Thüringer Land vollzogen hatte - dieser Abschied nicht. Nach 23
Jahren aktiven Fußball . . . 23 Jahre, da werden Erinnerungen
wach an die ersten Schritte im fußballerischen Metier, zunächst
bei Aufbau, dann bei Motor Wolgast mit Rudi Otto als seinem
ersten Übungsleiter und mit einem Hans-Ulrich . . . als
Feldspieler!
Aushilfe als Torwart
"Ja, so
war`s. Bei Schülern, Jugend und Junioren spielte ich
ausschließlich `draußen`. Bis mal bei einem Auswärts-Pokalspiel
unser Torwart nicht zur Stelle war und der Übungsleiter mich in
den Kasten beorderte." Fortan hieß Wolgasts Stammtorwart bei den
Junioren und später bei den Männern Hans-Ulrich Grapenthin. So
lange, bis 1965 Jenas "Erste", ein Jahr später der FC Carl Zeiss
Jena II auf Usedom campierten, Spiele gegen Motor Wolgast
bestritten und so auf den "Langen" im Motor-Tor aufmerksam
wurden. Alles andere ist hinreichend bekannt. Grapenthins
Wechsel 1966 nach Jena, wo er bald in den Oberligakader
aufrückte, doch erst einmal hinter Wolfgang Blochwitz die Nr. 2
war. Georg Buschner, zunächst im Klub, später in der Auswahl
Grapenthins Trainer, sagte einmal über den Jenaer Hüter: "Es
spricht für seine gesamte Sportlerpersönlichkeit, daß er, obwohl
jahrelang hinter Klasseleuten jeweils nur der zweite Mann - auf
Klubebene hinter Wolfgang Blochwitz, auf Auswahlebene hinter
einem alles überragenden Jürgen Croy - trotzdem sein sportliches
Ziel nie aus dem Auge verlor. da wie dort einmal die Nummer 1 zu
werden. Und wie resolut er seine Chance als 32jähriger (!) im
Nationaltrikot nutzte, soll ein kurzes Beispiel zeigen: 1975,
beim EM-Spiel in Belgien, fiel Jürgen Croy noch in der
Schlußphase durch Verletzung aus. Doch gegen die furios
anstürmenden Belgier rettete uns Grapenthin mit großartigen
Paraden in den Schlußminuten den 2:1 Sieg."
Silberschuhe im Kabinett
Wenn
Hans-Ulrich Grapenthin, übrigens eines von fünf Kindern des
Fleischers Ernst Grapenthin, heute Bilanz zieht, so kann er
schon einiges vorweisen. Außer Länderspiel- und
Oberligaeinsätzen, DDR-Meistertiteln und FDGB-Pokalgewinnen oder
seinen 45 EC-Spielen mit EC-II-Finale ist da noch eine ganze
Menge aufzuführen: Meister des Sportes, Goldmedaillengewinn bei
Olympia 1976 in Montreal und dafür ausgezeichnet mit dem
Ehrenring des NOK der DDR, Vaterländischer Verdienstorden in
Bronze, Artur-Becker-Medaille und manches mehr. Nicht zu
vergessen "jenes Paar Schuhe, daß er momentan ausgeliehen hat an
das Traditionskabinett des FC Carl Zeiss im Casino des
Enst-Abbe-Sportfeldes, jene beiden "silbernen Fußballschuhe",
die ihm in Würdigung als DDR-Fußballer der Jahre 1979/80 und
1980/81 durch die FUWO überreicht wurden.
"Töppen" nicht am Nagel
Die Vielzahl
derartiger Erfolge und Auszeichnungen kommt nicht von ungefähr.
"Intensives Training, gesunde Lebensweise waren schon
erforderlich, um in relativ hohen Fußballalter konstant
Spitzenleistungen bringen zu können", resümierte Hans-Ulrich
Grapenthin, der auf ein dickes Lob für seine Frau Ellen wert
legt: "Ohne ihr Verständnis, ihre stete Unterstützung meiner
sportlichen Ambitionen, wäre nicht an 19 Jahre Leistungssport zu
denken gewesen."
Und den
Blick vorausgerichtet, läßt er - übrigens seit 1972 Mitglied der
SED - durchblicken, daß er die Töppen sicher nicht gänzlich an
den berühmten Nagel hängen wird: "Beim Altherrenfußball werde
ich wohl ebenso mitmischen wie bei der Heranbildung talentierten
Torhüter-Nachwuchses. Apropos Torhüter: da hat er sich über
Perry Bräutigams glänzenden Einstand im Oberligator, den
nahtlosen Übergang, sehr gefreut, sieht aber in Karsten Härtel
keineswegs nur die Nummer 2 unter seinen Nachfolgern. Gedanken,
die beweisen, daß "Sprotte" vom großen Fußball noch längst nicht
Abschied genommen hat. Seinen Stammplatz in den
DDR-Fußball-Annalen hat er ohnehin sicher.
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