Völlig außer Kontrolle
Westdeutsche Hooligans fahren in die DDR, um sich dort mit den
ostdeutschen Fans zu prügeln.
Andi, 19,
und Tom, 20, zwei Fußballfans, die sich sonst nur im Namen des
Hamburger SV schlagen, waren „völlig platt". Im Rostocker
Stadion fanden sie „einfach traumhafte Verhältnisse" vor:
Herumliegende Steine boten reichlich Wurfmunition, aus
Holzbänken ließen sich „prima Latten zum Knüppeln raustreten".
Begeistert kehrten die Hamburger Hooligans von ihrem ersten
Einsatz im Osten zurück. Beim Oberligaspiel zwischen Hansa
Rostock und dem 1. FC Magdeburg Anfang März war es in der
Halbzeit 50 Hamburger und rund 200 Rostocker Randalierern
gelungen, den 400 Mann starken Magdeburger Anhang unbehelligt
über das Spielfeld aus dem Stadion zu hetzen. „Die 30 Vopos",
schwärmte Tom,, "standen nur rum".
Auch im Fußball hat sich in der DDR überall der westliche
Einfluß schon bemerkbar gemacht. 400 Dresdner Fans prügelten
sich am vergangenen Wochenende mit Anhängern aus Jena, die
Volkspolizei registrierte an diesem 18. Oberligaspieltag
insgesamt „32 Vorkommnisse". In Magdeburg zertrümmerten Rowdys
beider deutscher Staaten Mitte März Verkaufsstände, wollten
sogar den Dom stürmen. Doch die unheimliche A!lianz „fand den
Eingang nicht".
Was in der Politik noch dauert, haben die Hooligans schon
vollzogen. Die Wiedervereinigung der Randalierer aus
traditionell verbundenen Klubs findet jeden Samstag auf den
morschen Tribünen der DDR-Stadien statt — mit Baseballschlägern
und Fahrradketten. Der Berliner Staatsanwalt Jürgen Just hat
bereits einen „regen Tourismus von Schlagern quer durch
Deutschland" festgestellt.
Unterschiede zwischen den Radaubrüdern Ost und West lassen sich
höchstens auf dem modischen Sektor ausmachen: Die westlichen
Yuppie-Hooligans treten in teuren Ellesse-Hemden an; die
DDR-Fans sehen „eher rockermäßig aus, wie bei uns vor zehn
Jahren", sagt Sozialarbeiter Thomas Schneider vom Fanprojekt
Hamburg, „aber beide schlagen gleich hart".
Hooligans aus dem Westen, meint Schneider, suchen die
„paradiesischen Zustände" in der DDR. Die Kollegen aus dem Osten
nehmen die schlagkräftige Unterstützung nur zu gern an, um „dem
Staat etwas heimzuzahlen.
So sehen sich an jedem Spieltag verunsicherte Volkspolizisten
einer wachsenden Horde militanter Fans gegenüber. Bisher war die
organisierte Randale in der DDR ein Tabu-Thema. Die Hooligans
galten als einzelne „Unverbesserliche" (Sportecho), die mit
Freiheitsstrafen bis zu dreieinhalb Jahren diszipliniert werden
sollten. Da soziale Probleme offiziell nicht existieren,
erforschte niemand die Ursachen.
Angesichts verwüsteter Reichsbahnwaggons und „ganzer Koffer mit
Pyrotechnik" (Süddeutsche Zeitung) warb der Deutsche
Fußball-Verband der DDR lediglich mit der Aktion „Das
vorbildliche Publikum". Rot-Weiß Erfurt etwa organisierte zu
Auswärtsspielen Fahrten in luxuriösen Sonderzügen und ein
Rahmenprogramm mit Kultur und Heimatkunde. Doch
„Handarbeitszirkel", so befand die Leipziger Volkszeitung
bissig, seien wohl „kein Rezept" zur Hooligan-Befriedung.
Volkspolizei und Vereine wurden vom deutsch-deutschen
Schulterschluß „ziemlich überrascht", wie Ost-Berlins
Stellvertretender Polizeipräsident Günter Heidemann zugibt. Der
Klubvorsitzende des FC Magdeburg, Reinhard gegen den FC Berlin
noch vollmundig, „die Randalierer in den Griff zu kriegen". 48
Stunden und eine brutale Straßenschlacht später mußte er
kleinlaut eingestehen: "Hundert Schläger aus Ost und West waren
völlig außer Kontrolle. Die kamen mit Schlagringen, Messern und
Leuchtmunition. Die Volkspolizei hat sich zu defensiv
verhalten." Die Polizisten verhehlen nicht, daß sie statt
früherer „ Pingeligkeit, Macht und Härte" (Sportecho) nun
Vorsicht walten lassen. „Wir sind besorgt um die Akzeptanz
unseres Einschreitens", erklärt Jörg Callas, Sprecher der
Ost-Berliner Polizei. Die Vopos fürchten, im Volk schon wieder
als knüppelnde Buhmänner dazustehen. Gallas: „Die Situation ist
gespannt." Den um Imagekorrektur bemühten früheren Stasi-Klub
BFC Dynamo, der sich jetzt FC Berlin nennt, holt die
Vergangenheit immer wieder ein. Ex-Stasi-Chef Erich Mielke hatte
Skinheads, die im Dynamo-Stadion krakeelten, kurzerhand in den
Westen abschieben lassen.
„Die kommen jetzt alle zurück", klagt Fan-Betreuer Benno Kempke,
„und spielen total verrückt" Besonders gern skandieren die
gewalttätigen Heimkehrer: „Mielke, wir lieben dich."
Weil in Berlin zudem noch Hertha (West) und Union (Ost) über
halbstarken Anhang verfügen, berief Polizeiführer Heidemann
Mitte März eine vertrauliche Runde mit Vereinsvertretern ein.
Dort warb er um Verständnis: „Wenn ein West-Berliner Bus voller
Skinheads vorfahrt", so Heidemann, „dann kann auch die
Volkspolizei nur hoffen."
Zur FuBball-Weltmeisterschaft im Juni in Italien ist bereits ein
gesamtdeutscher Schlägeraufmarsch geplant. „Wir haben uns mit
denen von drüben schon für Italien verabredet", bestätigen Andi
und Tom, „da geht's rund " Der Frankfurter Fan-Polizist Wolfgang
Wehrum befürchtet angesichts der Prügelbruderschaften aus Ost
und West das Schlimmste. „Die WM", erwartet der professionelle
Beobachter der internationalen Fanszene, „wird das Härteste, was
wir in den letzten 30 Jahren erlebt haben."
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