Augenzeugen des Finals (direkt im Zentralstadion oder aus
zweiter Hand an den Fernsehschirmen) werden nach diesen 120
Minuten sicherlich lange ihren Gedanken nachgehangen haben. So
groß der Widerstreit der Gefühle aber auch sein mag, sie hierhin
oder dorthin tendieren, um den dramatischen Geschehen zu
entsprechen, bedarf es nüchterner, sachlicher Überlegung. Wer
sich weit über eine Stunde als souveräner Spielgestalter erwies,
für wen die Würfel schon gefallen schienen, braucht Zeit, um den
Wechsel von Siegeszuversicht und Enttäuschung zu verkraften.
Dynamo
Dresden erging es so. Häfners Führungstor, ein Volleyschuß wie
beim 1: 0 Sieg in der Nachwuchs-EM gegen Italien in Taranto,
drückte Dynamos spieltechnische Überlegenheit auch nicht
annährend aus. Was die Elbflorenzer in den ersten 45 Minuten an
stilistischen Mitteln demonstrierten, war gekonnt, verriet
Klasse! "Diese Steigerung macht mich optimistisch für die
kommende Saison", resümierte dann auch Walter Fritsch. In der
Tat gaben die Dresdner eine Spielauffassung zu erkennen, deren
technisches Raffinement, deren Eleganz, Gelöstheit und
Einfallsreichtum in die Zukunft weist. Für die Gegenwart taugt
sie allenfalls für eine Halbzeit. In ihr gelang es zwar, dank
einer fehlerfreien gedanklichen Übereinstimmung, dank eines
überragenden Häfners, Jena schwer zu düpieren, nach allen Regeln
der Kunst zu beherrschen, das Wichtigste aber blieb aus: Der
alles entscheidende, sichere Torvorsprung!
"Natürlich war unsere psychologische Verfassung nach der ersten
Halbzeit nicht die beste", gestand Hans Meyer zu, um sogleich
die Haltung des FC Carl Zeiss zu präzisieren, die ihn in den
zweiten 45 Minuten beseelte: "Dresden war noch in Griffweite.
Mit dem festen Willen zur Wende setzte sich unsere Fitness
durch." Über den letzten Satz vor allem wird man in Dresden
nachzudenken haben, denn " wie heute glichen sich auch in den
beiden Meisterschaftstreffen die Bilder, am Ende sprachen die
Ergebnisse von 3 :1, 3 : 0 stets für uns" resümierte
Zeissvorsitzender Herbert Keßler. Gewiß, Dresden haderte mit der
Regelauslegung Rudi Glöckners, bemängelte seine Inkonsequenz vor
Strafstoßentscheidungen (48. Schlutterfoul an Häfner,
Blochwitz-Sturz auf Riedel) sowie die Übertreibungen mit der
gelben Karte ( an Sammer, Wätzlich, Helm, Schmuck) bei einem
Freistoßverhältnis 27 : 39 gegen Dynamo, während Riedels
Feldverweis (Nachschlagen ohne Ball) von Walter Fritsch
entsprechend gerügt wurde ("eine völlig unnötige nervliche
Entgleisung") So widersprüchlich Glöckners Leitung auch war,
Dresden weiß selbst, das es sich physisch überforderte, und dann
nicht mehr in der Lage war, einem gereizten Kontrahenten, dem
man übel mitgespielt hatte, konditionell zu folgen.
Ein geschickter taktischer Schachzug Hans Meyers, die
Hereinnahme von Stein, sowie die positionellen Umgruppierungen
im Mittelfeld und im Angriff lösten Jena vollends aus der
spielerischen Stagnation. Endlich besannen sich die Thüringer
auf weiträumige, genaue Aktionen, nach dem Ausgleich
demonstrierten Irmscher, Schlutter, Weise, Kurbjuweit und
Schumann direkte Ballwechsel, die auch der Dynamoabwehr Sorgen
bereiteten. Bis zum Schlußpfiff blieb bei den
Fritsch-Schützlingen der Eindruck der vorteilhafteren
mannschaftlichen Harmonie im Gedächtnis, weil die Dresdner stets
zwei, drei Anspielpunkte besaßen, miteinander operierten. Jenas
Aktionen stellten zu oft reine Verlegenheitslösungen dar, doch
nach der größten Siegeschance für Dynamo in der 103. Minute
(Riedel spielt Kreische das Leder im Strafraum zu scharf in den
Lauf) verblüffte die Nervenkraft des Vizemeisters. Schumannns
Solo brachte Jena erstmal in Führung, zwei Minuten darauf
leisteten Schlutter und Irmscher jene klassische Vorarbeit, die
Bransch zur endgültigen Entscheidung nutzte.
In dieser Phase vor allem, - aber auch schon vereinzelt in der
regulären Spielzeit nicht zu übersehen, - mangelte es Dynamo an
übersichtsvollen Abwehrspiel. Selbst wenn P. Ducke und Vogel
keine Bäume ausrissen, sich schon ständig bei der Ballannahme
stören ließen, anstatt mit dem Ball am Fuß auf den Gegner
zuzulaufen und ihn dann mit einem Trick oder einer Körperfinte
auszumanövrieren, der organisierenden Funktion des Liberos wurde
Dörner im Zentralstadion nicht gerecht. Diese Urteil muß so
unmißverständlich gefällt werden, weil das Solo des jungen
Schumann, von der Mittellinie aus gestartet, an drei, vier
Dresdnern vorbei, lange wahrzunehmen war, und weil bei
Schlutters diagonalen Wechsel zu Irmscher in der 116. Minute die
Abwehrlücke auf der rechten Verteidigerposition längst
geschlossen sein mußte. Derartige Fehler mußten sich rächen,
diese großzügigen "Angebote" läßt selbstverständlich keine
Mannschaft ungenutzt verstreichen.
Das Finale 74 geht in die Pokalchronik als ein Endspiel des
dramatischen Szenenwechsels ein. Vor zwei Jahren erfüllte die
Begegnung beider Kontrahenten den Anspruch, als eines der besten
Endspiele überhaupt klassifiziert zu werden. Diese Niveau gaben
die 120 Minuten am Ostersonnabend nicht her. Dennoch wiesen zwei
beeindruckende Kollektive im Stil unterschiedlich motiviert,
ihre Stärken nach. Gewann der Glücklichere? Mitnichten! Unterlag
die bessere Elf? Keineswegs! Beider Kräfteverhältnis war so
gleichgewichtig, das ein Aspekt schon die Waage zugunsten Jenas
ausschlagen ließ:
Die Kampfmoral, an der Dresden abermals scheiterte!
So
fielen die Tore
1:0
In linker Mittelfeldposition erkämpft Kreische das Leder und
schlägt sofort den Paß auf den freistehenden Häfner. Mit dem
rechten Vollspann jagt der Schwarzschopf aus gut 20 Metern die
Kugel ins Netz (20.). Der 22jährige Mittelfeldakteur: " Zuvor
war ich noch drei Schritte nach innen gelaufen, dann erspähte
ich die Lücke in Jenas Abwehr."
1:1
Stein bricht auf dem linken Flügel durch, bleibt trotz eines
Stolperers in Ballbesitz und zieht das Leder scharf nach innen.
Helm verpasst, Schlutter ist zur Stelle und erzielt im Fallen
den Ausgleich (78.). Der 27jährige Mittelfeldspieler: " Ich
markiere selten Tore, aber das war wohl eines meiner wichtigsten
bisher. Darüber freue ich mich".
1:2
Es läuft die Verlängerung. Nach einem Sologang setzt sich
Schumann auf der rechten Seite gegen zwei Dresdner durch und
läßt Boden dann keine Chance. Der 21jährige Stoßstürmer: " In
diesem Moment ahnte ich, daß die Entscheidung zu unseren Gunsten
gefallen war. ".
1:3
Irmscher nimmt links einen Diagonalpass Schlutters auf, sieht
den gut postierten Bransch und schiebt ihm den Ball zu.
Unbedrängt kommt der zum Schuß und markiert aus halblinker
Position im Strafraum den dritten Treffer (116.). Der 28jährige
Stopper: " Das bedeutete den endgültigen Sieg für uns, für
Dynamo den k.o. Denn immerhin war beim Stande von 1:2 noch der
Ausgleich für Dynamo möglich."
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