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     Cup der Pokalsieger 1961/62            -            Jenas Weg bis ins Semifinale

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Spielbericht Europacup 1961/62
 

 

18. September 1963:    Selbst eingefleischte Gegner des Fliegens müssen sich schon nach wenigen Minuten davon überzeugen lassen, daß ihnen die IL 18 einen ruhigen und angenehmen Flug garantiert. Man empfindet kaum, wie sich die Maschine von der Piste abhebt und bereits nach wenigen Sekunden sicher ihre Bahn zieht, dabei zusehends an Höhe gewinnend. Vielleicht ist es auch die nette Stewardess, die sofort eine Atmosphäre des Zutrauens schafft und mit ihren freundlichen Hinweisen eine etwa aufkommende Unbehaglichkeit bekämpft. Man lehnt sich schließlich behaglich in seinen Sessel zurück, riskiert noch einen Blick auf die wie Spielzeuge erscheinenden Häuser und Bäume entlang der Chaussee tief unten und läßt seinen Gedanken freien Lauf. Schon nach wenigen Augenblicken ist vom riesigen Häusermeer des modernen Bukarests nichts mehr zu sehen. Nochmals erinnert man sich an den angenehmen Aufenthalt, der verbunden war mit einer unvergleichlichen Gastfreundschaft. Nur die jungen Männer zu unserer rechten Seite scheinen ein wenig mißmutig zu sein. Der Eingeweihte findet dafür Verständnis, handelt es sich doch um die Spieler des deutschen Meisters SC Motor Jena. Für sie hat Bukarest trotz mannigfaltiger Eindrücke wenig Gutes gebracht. Das erste Treffen im Europapokal der Meister sah Rumäniens Titelträger Dinamo, die Mannschaft mit den vielen Nationalspielern, mit 2:0 Toren erfolgreich. Es ist schon begreiflich, daß man da ein wenig die Köpfe hängenläßt - wenn auch nur vorübergehend.

Vielleicht überlegt Harald Fritzsche, ob er beim ersten Gegentreffer nicht das Tor hätte verlassen müssen, um wenigstens noch mit einer Faust an den Kopf­ball des nach vorn gelaufenen Nunweiler lll heranzukommen. So vergeht einige Zeit, bis er auf unser Gespräch eingeht.
„Was soll man da sagen? Unser Gegner war besser. Ich weiß, wir können ihn auch im Rückspiel nur schwerlich schlagen. Da sind doch wirklich ein paar Klasse­leute dabei. Aber deshalb Mut und Selbstvertrauen nehmen lassen? Wo gibt es denn das! Und schließlich haben wir eine Verpflichtung in zweifacher Hinsicht: nicht nur als Meister unser Bestes zu geben, auch wenn die Situation gerade sehr ungünstig ist, sondern auch an unsere großartigen Spiele im Europapokal der Pokalsieger anzuknüpfen, die uns vor reichlich einem Jahr bis vor die Tür des Endspiels gebracht haben. Das sind wir unseren Anhängern schuldig !"

 

 Unmittelbar wird die Erinnerung an die großartige Serie der Jenaer Elf in diesem Wettbewerb wach. Harald Fritzsche erinnert sich noch an fast alle Details aus diesen Begegnungen. Namen wie Leixoes Porto, Swansea Town oder Atletico Madrid werden unauslöschbar mit seiner fußballsportlichen Laufbahn verbunden sein. Als wir den Jenaer Schlußmann an seine Begegnung mit Madinabeyfia, dem Schlußmann der spanischen Elf, erinnern, ist der Faden zu den Ereignissen der Jahre 1961/62 schnell geknüpft. Wer ahnte damals, daß eine Fahrt unter ungewöhnlich schlechten Vorzeichen der Auftakt für eine glanzvolle Serie unseres Pokalsiegers sein würde...

Es steht fest: Die erste Begegnung mit Swansea Town findet Montagabend unter Flutlicht in Linz statt! Immer wieder hat es in den Absprachen zwischen dem SC Motor Jena und dem Waliser Klub unfreiwillige Verzögerungen gegeben. Nein, man kann der englischen Mannschaft und ihrer Leitung keinesfalls vorwerfen, sie verschleppe eine genaue Festlegung der Termine bewußt. Im Briefwechsel kommt deutlich zum Ausdruck, daß man außerordentlich bedauere, sich der NATO-Weisung beugen zu müssen, die die Einreise der DDR-Elf nach Swansea verhindere. So einigt man sich acht Tage vor dem ersten Vergleich, auf neutralem Platz in Linz zu spielen. Und zwar zu ungewöhnlich später Stunde am Montag unter Tiefstrahlern.
Am Sonntag gegen dreiundzwanzig Uhr trifft das Jenaer Aufgebot in Linz ein. Die österreichischen Journalisten lassen dem SC Motor bis zum Spielbeginn keine Ruhe.
"Das wunderbar abgezirkelte Kombinationsspiel der Jenaer gab dem Spiel das Gepräge", schreiben die österreichischen Zeitungen tags darauf übereinstimmend. Davon erfahren die Jenaer Spieler, die mit dem 2:2 eine gute Ausgangsposition für das schon am Mittwoch stattfindende Rückspiel in Jena besitzen, jedoch nichts mehr. Sie haben am Dienstag früh gegen fünf Uhr das Hotel verlassen, weil sie spätestens am Nachmittag wieder in Jena sein wollen. In Wien angekommen, geht es mit Taxen vom Westbahnhof zum Franz-Joseph-Bahnhof, um den Anschluß nach Prag zu sichern. Dort ist eine Chartermaschine bereitgestellt, die Erfurt anfliegen soll. Bis in die Hauptstadt der CSSR verläuft die Fahrt einwandfrei und in bester Stimmung. Lange und Roland Ducke, die beiden Torschützen, sind die Helden des Tages. In Prag steht die Sondermaschine verabredungsgemäß bereit - aber sie kann Erfurt wegen dort herrschenden starken Seitenwindes nicht anfliegen. So warten Spieler und Funktionäre nahezu eine Stunde. Dann entschließt sich die Delegationsleitung zu einer Kurs­änderung: Berlin wird angeflogen. Inzwischen unterrichtet man die Daheimgebliebenen und bittet darum, sofort Pkw nach Berlin zu schicken. Jede Minute ist kostbar, denn am Mittwoch wird die zweite Begegnung ausgetragen ! Als die Mannschaft gegen zweiundzwanzig Uhr Berlin erreicht, ist kein Auto zu sehen. Jetzt kann nur noch ein Bus der Berliner Verkehrsbetriebe helfen. Der erste und längste Teil der Strecke ist bereits zurückgelegt, als in der Nähe der Bitterfelder Raststätte plötzlich der rechte Hinterreifen platzt. Als es schließlich nach einstündiger Unterbrechung weitergeht, bessert sich die Laune aller zusehends, Todmüde fallen die Spieler nach zwei Uhr in die Betten.

,,Da haben es die Engländer aber besser gehabt, sie sind mit der Chartermaschine
gefahren", meint .Waldi Eglmeyer. Zu dieser Zeit ahnen Spieler und Betreuer des SC Motor Jena jedoch noch nicht, daß es Swansea ähnlich schlecht ergangen ist und die Voraussetzungen für das Rückspiel heute Nachmittag gleichermaßen günstig oder ungünstig sind: Die Engländer treffen sogar noch sechzig Minuten später als der SC Motor in Jena ein! Zwölf Stunden später merkt man der Aktiven jedoch nichts von einer quälenden Müdigkeit an. Beiderseits atmet das Spiel eine begeisternde Frische und Zielstrebigkeit. Doch zunächst sind die über 20 000 Zuschauer schockiert. In der 8. Minute jagt Reynolds den Ball zum l :0 für die Engländer in die Maschen!
Doch wer da glaubt, dieser Rückstand lahme das Spiel des SC Motor, der wird eines Besseren belehrt! Unwiderstehlich zieht vor allem der Jenaer Angriff seine Kreise, manövriert die gegnerische Abwehr mit schnellen und direkten Paßfolgen aus und erzwingt schon bis zur Pause einen 2:1-Vorsprung durch zwei Treffer von Müller. Später haben die Engländer keine Chance mehr, den entfesselten Gegner zu halten. Lange, Roland und Peter Ducke gestalten das Ergebnis mit 5:1 eindeutig.
Die Expertenzahlreicher Länder kommentieren Jenas Leistung mit außerordentlicher Hochachtung und nennen vor allem Peter Ducke, den jungen Jenaer Mittelstürmer, immer wieder an hervorragender Stelle. Sandor Bares, Präsident des ungarischen Fußball-Verbandes und in dieser Eigenschaft offizieller UEFA-Beobachter, stellt fest: „Es wäre eine Schande, hätte man diese ausgezeichnete Jenaer Mannschaft aus dem Pokal Wettbewerb gestrichen, wie es ein Veto englischer Stellen forderte. Doch die UEFA war sich ihrer Verantwortung bewußt. Nun haben die Männer des SC Motor eine große Chancel" Wer kann es ihnen verübeln, daß sie beim abendlichen Zusammensein einen Schluck mehr zu sich nehmen, als sonst üblich, und daß man dabei einmal ein Auge zudrückt. Nur als Cliff Jones, der mit seinem Widersacher Georg Buschner, vom Leipziger Treffen gegen Wales ein herzliches Wiedersehen feiert, zu später Stunde noch zusätzliche Mittel für einen „Drink" fordert, bleibt Trainer Trevor Morris unerschütterlich.
Unser Gesprächspartner Harald Fritzsche schmunzelt: „Ja, Cliff Jones ist ein Mordskerl. Wir haben ihn wohl am meisten von allen geschätzt. Doch halt, fast hätte ich da noch etwas vergessen. Als wir auseinander gehen wollten, bat uns der Delegationsleiter von Swansea, ihm doch noch für einige Augenblicke Gehör zu schenken. Er sagte: ,lch glaube, Jena wird noch eine gute Rolle in diesem Wettbewerb spielen. Vielleicht gewinnt es ihn sogar, wer weiß. Sollte das gelingen, dann schicken wir eine Chartermaschine nach Jena und lassen die Mannschaft zu mehreren Freundschaftsspielen nach England kommen. Unser Wort!

" Nach einer kurzen Unterbrechung kommt Harald Fritzsche auf den zweiten Teil seiner interessanten Erzählung zurück. Sie beginnt für ihn und einige seiner Mannschaftskameraden vom SC Motor Jena eigenartigerweise im fernen Casablanca...

Die Gebrüder Ducke und Harald Fritzsche befinden sich mit der Nationalmannschaft in Marokko und treffen erst drei Tage vor dem ersten Spiel mit Luxemburgs Meister Alliance Düdelingen wieder in Jena ein, so daß die drei in der Vorbereitung des Klubs nicht zur Verfügung standen. Aber soviel läßt sich ohne Überheblichkeit sagen: Die Luxemburger zählen nicht zu den Mannschaften, die der SC Motor ernsthaft zu fürchten hätte. Schade nur, daß auch diesmal beide Vergleiche auf DDR-Gebiet stattfinden müssen, weil der SC Motor keine Einreise zum Rückspiel erhält.


Auf schneebedecktem Jenaer Boden haben die Männer von Alliance nicht die Spur einer Chance. All ihre Bemühungen fallen gegen diesen ehrgeizigen und spielerisch weiter gereiften Gegner auf unfruchtbaren Boden. Schon der Auftakt mit Kirschs Führungstreffer nach einer Minute ist vielversprechend. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks fallen die Tore. Lange (2), Müller, Peter Ducke und wiederum Kirsch erhöhen auf 6:0. Zu allem Überfluß lenkt der rechte Verteidiger Piccinini in der 72. Minute den Ball noch ins eigene Tor. Mit diesem 7:0 hat sich Jena für die nächste Runde qualifiziert, denken die Zuschauer. Und das zu Recht. Daß sich der SC Motor von ähnlichen Gedanken leiten läßt, halten die nur 1000 Besucher zwei Tage später in Erfurt nicht für gerechtfertigt. So liegen die Gäste durch Cirelli und Beflion mit 2:0 in Front, bevor der SC Motor überhaupt richtig Fuß gefaßt hat! Als er sich endlich auf seine spielerische Linie besinnt, schaffen Kirsch und Pefer Ducke wenigstens noch ein 2:2. Für die Luxemburger ist dieses Ergebnis Anlaß zu riesigen Luftsprüngen und Umarmungen noch auf dem Spielfeld. Sie haben mit allem gerechnet - nur nicht mit diesem Unentschieden!
Mit sichtlichem Wohlbehagen quittiert unser Partner das Vorhaben der Stewardess, ihre Gäste mit einem reichhaltigen Mahl zu bewirten. Harald Fritzsche langt tüchtig zu. Doch plötzlich stockt er: „Eins muß ich noch erzählen : Als wir uns mit den Luxemburgern über den Austragungsort des zweiten Spieles einigten, standen eigentlich nur Saalfeld oder Gera zur Debatte. Eigenartigerweise beharrten unsere Gäste darauf, im Erfurter Georgi-Dimitroff-Stadion spielen zu können. Am Abend nach dem Spiel, als wir in fröhlicher Runde beisammen saßen, erklärte mir einer der Brüder Capitani den Zusammenhang : Irgendwie hatte man erfahren, dass Jena in Erfurt als sogenannter Thüringen-Rivale bei den Zuschauern stets einen schweren Stand hatte. Man glaubte, der Unterstützung der Erfurter Fußballanhänger sicher zu sein, wenn man hier spielen würde. Das hat sich ja wohl denn auch bestätigt. Mich würde nur interessieren, wer ihnen diesen Tipp gegeben hat. . ."


Die drückende Schwüle, die bei unserem Eintritt in der Maschine herrschte, ist längst einer angenehmen Temperatur gewichen. Die Stewardess reicht Harald Fritzsche den Flugzettel. „Noch anderthalb Stunden Zeit bis Berlin l Also können wir uns in aller Ruhe dem nächsten Gegner zuwenden: Leixoes Porto. Ich glaube. an diese beiden .Schlachten' in Jena und Gera werden wir uns alle noch lange erinnern . . ."

 

 

Bevor die portugiesische Vertretung in die Zeißstadt fährt, sorgt sie bei ihrem kommenden Gegner noch für einige Unruhe. Sie bezwingt den FC Zürich im zweiten Treffen der vorausgegangenen Runde mit 5:OToren, und die Fachpresse des Landes ist voll des Lobes über ihre ansteigende Form. Anschließend reisen die Männer aus Leixoes nach Rumänien, wo sie gegen Progresul Bukarest eine fabelhafte Leistung vollbringen und mit 1 :0 verdient gewinnen. Sehr schnell bestätigt sich, daß sich die Vertretung aus Porto ihrer Stärke bewußt ist, Und in der Tat: Leixoes kann auf eine bemerkenswerte internationale Bilanz der vergangenen Jahre blicken! Die Mannschaft erhielt das begehrte „Blaue Band", das jenen Vertretungen verliehen wird, die im Ausland besonders gut abschneiden. Leixoes brachte dabei das Kunststück fertig, fünfzehn Vergleiche zu gewinnen. Und natürlich will sich die Elf gerade jetzt nicht davon ab­bringen lassen, bis ins Semifinale dieses Wettbewerbes vorzudringen. Man sieht die portugiesischen Spieler kaum auf der Straße oder vor dem Hotel.

Trainer Munes liebt es nicht, daß sie vor einem schweren Kampf übermäßig vielen Abwechslungen ausgesetzt sind. Sie sollen sich auf das bevorstehende Spiel konzentrieren. Da sich schon in den Morgenstunden die ersten wissbegierigen Buben mit ihren Autogrammhefte n einstellen, entscheidet Senior Munes schließlich sogar, daß die Spieler das Frühstück auf ihren Zimmern einnehmen! Wie ernst es dem erfahrenen Trainer um den kommenden Kampf ist, beweist folgende Begebenheit am Vormittag des Treffens: Mit einer Schallplatte unter dem Arm erscheint Trainer Munes zur Spielvorbereitung. Nachdem die Nationalhymne Portugals verklungen ist und alle Spieler ehrfürchtig verharren, erklärt er Ihnen: „Hört zu ! Die meisten von euch sind verlobt, verheiratet oder haben feste Freundinnen. Alle diese Frauen und Bräute schauen in diesen Stunden auf euch. Noch mehr: Ganz Porto setzt sein Vertrauen in euch. Deshalb: enttäuscht das Vertrauen nicht und denkt während der kommenden neunzig Minuten daran, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um ein gutes Resultat zu kämpfen!" Das Wort ..Kampf" wird im ersten Treffen, besonders aber im zweiten Vergleich in Gera, tatsächlich groß geschrieben, Der SC Motor hat dabei den Nachteil, daß Mittelstürmer Peter Ducke wegen einer Verletzung nicht eingesetzt werden kann. Die neuformierte Angriffsreihe mit Roland Ducke, Müller, Kirsch, Röhrer und Lange braucht einen beträchtlichen Anlauf, um endlich die altgewohnte Form zu finden. Es gelingt in diesen neunzig Minuten aber nur recht selten, so daß man am Schluß über ein 1:1 nicht hinauskommt. Die Portugiesen erzielen durch ihren Mittelstürmer Oliveira Sekunden vor dem Pausenpflff das    1:0, während Marx erst sechzig Sekunden vor Schluß egalisieren kann. Aber wenn man berücksichtigt, daß dieses Remis gegen einen Partner von internationaler Klasse erzwungen worden ist, dann kann man den Kommentar von Trainer Georg Buschner nur unterstützen: „Ich möchte meiner Mannschaft ein Gesamtlob aussprechen. Es war eine kämpferische und dramatische Partie."


In der Schlußphase eines so imposanten Wettbewerbs muß man damit rechnen, daß sich das Geschehen immer mehr zuspitzt und das kämpferische Moment die Begegnungen prägt. Dessen sind sich die Spieler des SC Motor bewußt, als sie in den zweiten Kampf gehen, der in Gera ausgetragen wird. Es ist eine Partie mit unerhört packenden Szenen und leider auch zahlreichen, nicht sehr sauberen Auseinandersetzungen. Die Portugiesen reagieren erstmals „sauer", als Kirsch in der 8. Minute das 1:0 für den SC Motor herausholt. „Abseits" reklamieren sie mit aller Eindringlichkeit und weichen dem Unparteiischen aus der CSSR minu­tenlang nicht von der Seite. Erst als Kapitän Woitzat längere Zeit beruhigend auf den Spielführer der Portugiesen einwirkt, kann das Spiel fortgesetzt werden. Es bleibt aber auch in der Folgezeit eine verbissene und beiderseits mit höchstem körperlichem Einsatz geführte Partie!
Leixoes schlägt zurück und demonstriert über weite Strecken der zweiten Hälfte einen erstklassigen Kombinationsfußball. Alle Voraussagen über den Gegner bestätigen sich hier, zumal der SC Motor nicht in der Lage ist, seinen Aktionen nach dem 1:0 die notwendige innere Ruhe zu verleihen. Vieles läuft daneben. Aber die beispielgebende Moral gleicht die Schwächen auf spielerischem Gebiet aus. Als Lange schon hundertachtzig Sekunden nach dem Ausgleich die hochwichtige Führung erzwingt, läßt der Kampfgeist des Gegners spürbar nach. Schließlich stellt Röhrer in der 78. Minute durch einen weiteren Treffer das endgültige Resultat her.
Hat es im Verlauf dieser neunzig Minuten oftmals Anlaß dazu gegeben, übermäßig harte Attacken einzelner portugiesischer Spieler zu kritisieren, so erweisen sie sich nach dem Schlußpfiff als gute Verlierer. Trainer Munes findet in dieser für seine Elf gewiss nicht leichten Situation Worte der Anerkennung für die gegnerische Leistung: ,,Der SC Motor hat diesen Sieg verdient. Ich glaube aber, wir haben in Jena und Gera angedeutet, daß wir guten Fußball spielen können. Ist uns das gelungen, dann haben wir einen Teil unserer Mission erfüllt." Wie sehr sich die Spieler unseres Pokalsiegers freuen, nun im Semifinale zu stehen, läßt sich schwer beschreiben. Und sie haben auch keinerlei Grund, sich jenen Standpunkt zu eigen zu machen, der gerade jetzt von zahlreichen Fußballfreunden vertreten wird: Ja, der SC Motor konnte ja beide Spiele zu Hause austragen, das war für ihn schließlich der ausschlaggebende Vorteil. Und: Hatte Leixoes im ersten Treffen in Jena nicht ein 1:1 erreicht? Mit diesem Resultat wäre die Elf zu Hause gewiß zu einer für sie vorteilhaften Wende des Geschehens fähig gewesen! Natürlich sind diese Überlegungen nicht mit einer Handbewegung abzuweisen. Ein wenig hat der SC Motor schließlich davon profitieren können. Aber kann man das ihm zum Vorwurf machen? Seine Bemühungen, sich der Konkurrenz auch auf des Gegners Platz zu stellen, sind schließlich einzig und allein durch die sportfeindlichen Machenschaften der NATO auf Bonner Betreiben hin vereitelt worden. Der SC Motor hätte sich nur allzu gern auch in Lissabon, wo im Stadion von Benfica der zweite Vergleich geplant war, einer erwartungsfrohen Zuschauerkulisse präsentiert und ihr sein gestiegenes internationales Können gezeigt. Professor Cultura Fisica Tecnico Football, Nelson E. Filipo Munes, wie der volle Name des portugiesischen Trainers lautet, findet die wohl beste Erklärung dafür, als er sich beim abendlichen Bankett mit folgenden Worten von den Spielern des Jenaer Klubs und ihren rührigen Funktionären verabschiedet: „Leider, leider können wir Jena nicht zu Hause empfangen und uns für die ausgezeichnete Gastfreundschaft revanchieren. Der NATO-Beschluss trifft also in erster Linie uns! Wollen wir hoffen, dass das bald vorbei ist und wir den SC Motor Jena in Porto herzlich begrüßen können l"


Harald Fritzsche unterbricht seine Rede. Die Stewardess macht uns darauf aufmerksam, daß wir in wenigen Augenblicken Budapest überfliegen. Allmählich taucht das riesige Lichtermeer unter uns auf. Harald Fritzsche deutet mit der Hand nach rechts, wo sich das Band der Donau mit den vielen Laternen zur rech­ten und linken Seite deutlich ausmachen läßt. „Nach dem Rückspiel gegen die Rumänen wird das unsere nächste Aufgabe sein: gegen die Ungarn im Europa­pokal der Länder!" Seine Gedanken eilen in diesem Augenblick der Zeit schon weit voraus, kommen dann aber auf die beiden Spiele gegen Leixoes zurück.
„Ich habe im zweiten Spiel manchmal furchtbar geflucht, wenn die Abwehrspieler von Leixoes förmlich dazwischenhackten und unsere Stürmer springen mußten, um nicht verletzt zu werden. Einmal war ich sogar drauf und dran, dem mich umrennenden Gomez Ohrfeigen anzubieten. Aber rasch hatte ich mich wieder in der Gewalt. Um so mehr war ich überrascht, als Spielführer Saniana nach dem Treffen zu „Sig" Woitzat ging, ihm den Arm um die Schulter legte und in gebrochenem Deutsch zu ihm sagte:, Alles Gute ! Ich glaube, ihr könnt es schaffen.' Das hat mir mächtig imponiert und meinen Zorn schnell abklingen lassen. Ja, trotz aller Leidenschaftlichkeit sind es doch prächtige Burschen, diese Leixoes-Spielerl"


Allmählich rückt der Zeitpunkt heran, da man gegen die Müdigkeit anzukämpfen beginnt. Die meisten Jenaer Spieler gönnen sich ein wenig Ruhe nach den Strapazen des gestrigen Tages. Doch Harald Fritzsche kommt jetzt erst richtig in sein Element. Uns wundert das nicht, steht doch mit den beiden Semiflnal-Paarungen gegen Atletico Madrid der sportliche Höhepunkt dieses für Jena so ereignisreichen Wettbewerbes 1961/62 bevor...


Atletico Madrid: Gleichzusetzen in der Leistungsstärke nur zwei anderen spanischen Vertretungen mit nicht minder bekannten Namen; Real Madrid und CF Barcelona. Dieses Dreigestirn bildet seit Jahren das Leistungszentrum im spanischen Fußball. Und die Namen einiger Spieler im Klub Atletico haben über die Grenzen des Landes hinaus Gewicht: Collar, der pfeilschnelle Linksaußen, gemeinsam mit Gento, Spaniens Nummer 1 für diese Position, oder Peiro, seinem Nebenmann auf halblinker Position. Man könnte diese Aufzählung durch Calleja, den eisenharten und stellungssicheren Verteidiger, den Läufer Ramiro und den dunkelhäutigen Jones auf dem rechten Flügel erweitern. Sie alle stellen internationale Klasse dar !


Schon vor dem Jenaer Spiel beeindrucken die Spanier. Alle Spieler des SC Motor sind anwesend, als die Elf vierundzwanzig Stunden vor dem Treffen trainiert. Bewundernswert die hervorragende Disziplin. Vor allem aber haben die Jenaer Grund, die Vielseitigkeit des Trainings auf gymnastischem Gebiet zu bestaunen.
Ihre großartigen Fähigkeiten auf diesem Gebiet beweisen sie dann nachdrücklich im ersten Treffen im April 1962. Noch niemals zuvor hat das Ernst-Abbe-Stadion derart viele Menschen aufnehmen müssen. Tausende haben sich zusätzlich auf der Aschenbahn Sichtmöglichkeiten geschaffen, und in wirklich um­sichtiger Art und Weise hat es die Klubleitung möglich gemacht, daß 26 000 Besucher Platz finden. Und an diesem Tag vollzieht die Elf endgültig den Sprung zur internationalen Klasse, obgleich sie mit 0:1 die Bitternis einer Niederlage auskosten muß l
Doch was sie in diesen neunzig Minuten an technischer Vielfalt und kämpferischem Aufbegehren leistet, ist höchsten Lobes wert. Immer wieder sucht die Mannschaft ihre Chance durch steile Pässe aus dem Mittelfeld heraus. Atleticos Abwehr und vor allem Madinabeytia leisten ein unerhört großes Pensum. Und als Müller in der 36. Minute zum SchuB kommt, scheint das verdiente 1: O für den SC Motor fällig. Die Zuschauer haben schon den Torschrei auf den Lippen, aber der Pfosten ist in diesem Augenblick Retter in höchster Gefahr für Atletico. Die spanische Mannschaft demonstriert alle Vorzüge eines eleganten, wirkungsvollen Fußballs. Vor allem der zurückhängende Mendoza imponiert. Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Ihm gelingt auch die Vorarbeit zum ausschlaggebenden 1:0.  Collar, ein hervorragender Linksaußen, hat keine Mühe, den raffiniert angeschnittenen Ball über die Linie zu drücken. Dieses Tor in der 63. Minute bedeutet Jenas Niederlage!


Noch einmal finden sich die Spieler beider Mannschaften zusammen, beim abendlichen Bankett. In froher Stimmung verbringen sie einige Stunden. Inzwischen haben sich Hunderte junger Fußballanhänger vor dem Hotel „Schwarzer Bär" eingefunden und hoffen, mit den spanischen Spielern zusammenzutreffen. Die Delegationsleitung des Klubs erfährt davon. Einige Augenblicke später erhebt sich Dr. Villalonga, der technische Leiter des Klubs, und sagt folgendes: „Meine Spieler erklären sich einverstanden, nach dem Abendbrot dreißig Minuten lang all den wartenden jungen Burschen Autogramme zu geben !" Kurz darauf ist der Saal einschließlich der Vorhalle natürlich dicht belagert. Leider ist schon zu dieser Stunde gewiß, daß Atletico seiner Rückspielverpflichtung nicht im heimischen „Estadio Metropolitano" nachkommen kann. Dr. Villalonga erklärt dazu:,, Sie dürfen das aufrichtige Bedauern des Klubs darüber zur Kenntnis nehmen, daß uns diese Möglichkeit nicht gegeben ist. Es lag leider außerhalb unserer Machtbefugnisse, darüber zu entscheiden. Wir bedauern das außerordentlich l"
Als der SC Motor aber zum fälligen zweiten Treffen im neutralen Malmö eintrifft, glaubt er sich tatsächlich in der Obhut des spanischen Gastgebers. Bei der Ankunft auf dem Bahnhof steht die Delegationsleitung des spanischen Klubs bereits zur Begrüßung bereit und empfängt die Spieler und Funktionäre des SC Motor wie gute alte Freunde. Und ein weiteres interessantes Zusammentreffen ergibt sich während dieses Aufenthalts auf schwedischem Boden: UEFA-Präsi­dent Ebbe Schwartz begrüßt beide Vertretungen und äußert sein Bedauern über den regelwidrigen Ablauf dieser Spiele:
,,Es ist tatsächlich ungewöhnlich, daß Atletico seine Pflichten als Gastgeber zweitausend Kilometer von der eigenen Heimat entfernt wahrnehmen muß. Die UEFA hat alles Mögliche getan, um die europäischen Pokalwettbewerbe trotz dieser Maßnahmen ordentlich durchzuführen. Ich weiß, Sie hätten lieber in Madrid gespielt, aber das liegt leider nicht im Bereich unserer Kompetenz. Wir Sportler wären uns einig geworden. Die Spanier erzählten mir, wie gut es ihnen in Jena gefallen habe. So soll es auch hier und überall sein !"
Die freundschaftliche Aufnahme hilft dem SC Motor auch ein wenig, die klare 0:4-Niederlage im entscheidenden zweiten Gang zu verdauen. Die ungewohnten Flutlichtverhältnisse bilden das erste Hemmnis, zumal die Spanier unter derartigen Voraussetzungen ihre meisten Kämpfe austragen. Doch das allein wird dem SC Motor nicht zum Verhängnis. Seine Unsicherheiten in der Deckungsreihe geben Atletico die Möglichkeit, in der 14. und 17. Minute durch Mendoza und Jenes mit 2:0 in Front zu ziehen. Damit sind nach dem 1:0d er Spanier in Jena bereits die Würfel gefallen. Die Jenaer vermögen sich später zwar beträchtlich zu steigern und ihren Aktionen wiederum einen begeisternden kämpferischen Rückhalt zu verleihen, aber aufzuhalten ist die reibungslos funktionierende Kombinationsmaschine des Gegners nun nicht mehr. Er fühlt sich seines Sieges sicher und spielt unbeschwert auf. Jones und Mendoza stellen innerhalb von wenigen Minuten das klare 4:0 her.
Dennoch bleiben die Namen von Fritzsche, Otto, Stricksner, Ahnert, Woitzat, Eglmeyer, R. Ducke, Müller, P. Ducke, Lange und Kirsch auch nach der Nieder­lage von Malmö anerkennend in aller Munde. Immerhin haben sie an die Pforte zum Eintritt ins Finale geklopft.


Wir haben im angeregten Gespräch kaum gespürt, daß die Maschine schon beträchtlich an Höhe verloren hat. Prag liegt hinter uns. Harald Fritzsche merkt man ein wenig die innere Erregung an - wie begreiflich.  „Ja, es ist schwer, dicht vor dem Ziel abgefangen zu werden und dann doch Herr seiner Nerven zu bleiben. Auch mir ist das schwergefallen. Aber Madinabeytia hat mir rasch über die Enttäuschung hinweggeholfen. Schon in Jena wurden wir gute Freunde, und er verabschiedete sich von mir im Gefühl aufrichtiger Freude darüber, daß wir uns in knapp vierzehn Tagen in Malmö wiedertreffen würden. In Schweden haben wir uns mehrfach gesehen. Schade nur, daß man sich so schlecht miteinander verständigen kann. Ich glaube, wir hätten sonst gemeinsam noch manche Stunde mehr verbracht. Nach dem Spiel war er der erste, der mir um den Hals fiel. Nicht allein aus Freude über den Sieg seiner Mannschaft. Nein. ,Nimm es nicht so tragisch', meint er. ,Das ist eben nun einmal der Sport. Ich bin sicher, ihr werdet eines Tages noch einmal von euch hören lassen. Vielleicht treffen wir uns einmal wieder - ich jedenfalls würde mich sehr darüber freuen l' " Das dumpfe Zittern der schweren Maschine ist untrüglicher Beweis dafür, daß wir bereits wieder festen Boden unter den Füßen haben. In Sekundenschnelle verringert die IL18 ihre Geschwindigkeit. Ein Blick hinaus faßt uns die neu erbauten Hallen des Berliner Flughafens Schönefeld erkennen. Unser angeregtes Gespräch hat die nahezu zwei Flugstunden so rasch vergehen lassen, daß noch diese und jene Frage ungeklärt bleibt. Harald Fritzsche und seine Mannschaftskameraden vom SC Motor Jena haben noch eine mehrstündige Busreise vor sich, bevor sie wieder bei ihren Familien angelangt sind. Doch schon jetzt drängt die Zeit: In wenigen Tagen Kommt Rumäniens Landesmeister zum Rückspiel. Für Jena ein schweres Vorhaben, gegen ihn zu bestehen. Es kann nur gelingen, wenn der Elf jene hervorragende Übereinstimmung zwischen spielerischen und willensmäßigen Qualitäten gelingt, die im Europapokal der Pokalsieger das Vordringen bis in die Runde der letzten Vier ermöglichten. Fast scheint es, a!s habe unser Nationaltorhüter diesen Gedanken erraten, Sein Schmunzeln läßt jedenfalls darauf schließen ...

 


 

                                                                                                                                                                                                                                                                        Report by Wolfgang Hempel

 

 

 

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